Masterclass Pumpernickel

„Du hast an meiner Grammatik geschraubt!“ (Schelli)

„Ich- niemals! Solange Du nicht in meinen Teigen rührst, fasse ich Deine Grammatik nicht an.“ (Didi)

Diese Zitate sollen Euch helfen einzuordnen, mit welchem Ernst wir (Didi vs. Schelli) unsere eigenen Linien verteidigen.

Trieb- und Säuresteuerung in traditionellen deutschen Broten.

  • Spiel ohne Grenzen: Baltischer Kochteig
  • Pumpernickel ultimativ

Einordnung

Das deutsche Brot -zumeist mit dem Schwerpunkt auf Roggen- hat im mediterranen Ausland keinen besonders guten Ruf- es gilt als schwer, dicht und sauer. Ein ungenießbarer Backstein.

Ganz anders wird es von den Deutschen im eigenen Land wahrgenommen. Das erste, was ein Deutscher vermisst, wenn er sich länger als eine Woche im Ausland aufhält, ist sein geliebtes Roggen(misch)brot. Das hat in diesem Fall ausnahmsweise nichts mit der deutschen Zunge nachgesagten Geschmacksschwäche zu tun. Vielmehr vereint der Roggen -veredelt durch fachkundige Fermentation- im Brot Heimataromen und wohlige, anhaltende Sättigung- deutsches Soulfood.

Allerdings wird heute in der weit überwiegenden Mehrzahl deutscher Bäckereien der Roggensauer allein als Würzmittel verstanden, um dem Brot Säure und Aroma zu geben. Bäckerhefe dient dem Trieb. An Hefe wird aus Produktionssicherheits- und Zeitgründen oft nicht gespart. Entgegen früheren -schwankenden-Roggenqualitäten benötigen rezente Roggenernten keine Säure, um ein optisch ansprechendes Brot aus dem Ofen zu ziehen. Niedrigen Fallzahlen vorvergangener Tage musste mit einem entsprechenden pH-Wert begegnet werden, um den Teig langsamer abbauen zu lassen, Brotfehler möglichst klein zu halten.
Inzwischen wächst fast ausschließlich Hybridgetreide auf unseren Feldern, ertragsstark und -sicher. Krankheitsresistent und proteinreich. Ein technisch gutes Brot zu backen, ist heutzutage keine große Herausforderung mehr.
Jedoch wandelt sich die Erwartungshaltung eines Teils der Verbraucher an das Brot: es entwickelt sich vom Sattmacher zum Genussmittel. Die Sternegastronomie -nicht die klassische, französische Küche, sondern die Erneuerer, die Mutigen- und die Hobbybäcker sind in Deutschland Treiber dieser Idee. Dort wird zunehmend fermentiert und Brot als Teil dieser Bewegung verstanden.

Brot als Genussmittel kann kein Massenprodukt sein. Für uns steht ein exzellentes Produkt auf drei Säulen:

  1. handwerkliches Können
  2. beste Mehlqualität
  3. natürliche Fermentation, modernes Sauerteigwissen

Aus Bäckers Sicht ist -nahezu ausschliesslich- das tradierte handwerkliche Wissen entscheidend, um erstklassige Brote backen zu können. Wir meinen, dass es tatsächlich eine Grundvoraussetzung ist, Mehlqualitäten und Teigreifen zu erkennen und mit Teigen adäquat umgehen zu können. Dass allerdings auch zunehmend Geschmack und Ästhetik vom Verbraucher erwartet werden, der Handwerker durch den Fokus auf Rationalisierung diese neuen Anforderungen eher zurückhaltend liefert.

Kommen wir zum Punkt 2, der Mehlqualität: es geht nicht um Schädlingsbefall oder besonders proteinreiche Mehle. Bei der Selektion der Getreidesorten in den letzten Jahrzehnten war der Geschmack zweitrangig- die Backfähigkeit spielte eine wichtige Rolle und der Proteingehalt als Währung für Bauer, Müller, Bäcker. Und zuvorderst die Maschinengängigkeit der sich ergebenden Teige, um günstig Masse produzieren zu können.

Der in Deutschland abnehmende Verbrauch von Roggenmehl korreliert zuverlässig mit der steigenden Fallzahl des Roggens in den letzten Jahrzehnten. Ein Kausalzusammenhang ist nicht festgestellt, liegt aber nahe: das Resultat sind zunehmend trockenbackende Brote. Das muss erklärt werden: Die Fallzahl ist ein Hinweis auf die sogenannte Enzymaktivität, je höher die Aktivität desto geringer die Fallzahl.

Teige mit geringer Enzymaktivität (hoher Fallzahl/entsprechend der aktuellen Roggenqualitäten) sind geduldiger, anspruchsloser in der Verarbeitung. Aber auch von eintönigem Geschmack und „trockenbackend“, d.h. das Gegenteil von saftig.

Reagiert wird meist mit Hilfe von externen Geschmacksgebern. Das können die deutschen Bäcker: mit (passivem) Malz hantieren. Den Rest erledigt die Backmittelindustrie. Sie korrigiert die nicht erwünschten Eigenschaften der jeweiligen Ernte und nivelliert das Geschmackserlebnis auf Einheitswerte. Der Kunde bekommt zuverlässig das gleiche Brot- in Norddeutschland wie in Süddeutschland. Sogar unter gleichem Namen.

Folgende Maßnahmen können helfen, ein Trockenbacken zu vermeiden:

  • Wahl eines Urkornroggens: Champagnerroggenmehl oder Waldstaudenroggenmehl haben zuverlässig deutlich niedrigere Fallzahlen und ungeahnte Aromentiefe- verglichen mit vielen Hybridsorten. Nach Erfahrung der Autoren sind diese Mehle in den letzten Jahren immer gut beherrschbar gewesen und haben ausserordentlich geschmackvolle Sauerteige/Brote hervorgebracht.
  • verringern der Fallzahl durch Mischen geeigneter Anteile enzymaktiver Mehle (höchste Handwerkskunst, die von nur sehr wenigen Bäckern beherrscht wird: die Wirkung von Enzymen im Teig folgt nichtlinearen mathematischen Gesetzen!)
  • Zugabe eines Roggenmalzbrühstücks
  • Erhöhung des Vollkornanteils
  • Arbeit mit Quell-, Brüh- und Kochstücken
  • Brotaroma hinzufügen (Restbrotverwertung- hier sind die Autoren ausnahmsweise nicht kongruent: der eine liebt es, dem anderen übertüncht es die zarten, süchtig machenden Fermentationsaromen)

Fermentation

Die Fermentation/Gärung hat in vielen Bereichen der Lebensmittelherstellung und -konservierung in allen Kulturen alte Wurzeln, die Sachkenntnis wird heute insbesondere über Internet und Tourismus zusammengeführt und optimiert. In Deutschland hat die Roggenbrotbereitung mit Hilfe der Fermentation/Teigversäuerung durch Hefen und Bakterien eine große Tradition, das Wissen entstand empirisch und führte an verschiedenen Orten Deutschlands zu ganz unterschiedlichen Verfahren, die allerdings nur noch von sehr wenigen professionellen Bäckern umgesetzt werden. Selbst in den Fachschulen wird das Wissen nicht gepflegt -und leider auch nicht konserviert. Heute wird, weil die Erfindung der Bäckerhefe den Umgang mit Roggenteigen sehr vereinfacht, Trieb und Versäuerung in zwei voneinander unabhängige Prozesse gepackt. Die gewünschte Teigeigenschaft „Trieb“ mit Hilfe der Hefe, die notwendige Eigenschaft „Säure“ mit Hilfe von ausgereiftem, stabilem Roggensauerteig beeinflusst. Feinere, aromabestimmende Stellschrauben durch Fermentationsteuerung oder gar unterschiedliche Getreidesorten bleiben häufig außen vor.

Im Folgenden finden wir die wichtigsten Ideen traditioneller, bäckerhefefreier Roggen-(misch)Brotbäckerei mit einer Kurzcharakterisierung. Alle traditionellen deutschen Sauerteigführungen werden mit Roggenmehl angesetzt.

Berliner Kurzsauer

Kurze, warme, weiche Führung, viel ASG wird benötigt, für mildes Mischbrot, in der deutschen Bäckerei eher ein Exot.

Kennzahlen: ASG-Menge 20% vom Roggensauerteigmehl, Reifezeit (RZ): 4h, Teigtemperatur (TT) 35°C, Teigausbeute (TA): 200

Monheimer Salzsauer

Die Idee dieser Führung war, nur noch 2x pro Woche einen Sauerteig ansetzen zu müssen. Die Salzzugabe vermindert die Stoffwechselgeschwindigkeit (Stabilisierung) des Sauerteiges,
ein wichtiger Nebeneffekt ist, es werden Essigsäureproduzenten gebremst. Einfach, sicher im Ergebnis, ausgewogen im Geschmack.

Kennzahlen: ASG-Menge 20% vom Roggensauerteigmehl, RZ: 15h, TT 32°C fallend auf 22°C, TA: 200, 2% Salz (bei Hauptteigbereitung entsprechend reduzieren) Versäuerung 30-40%

Detmolder 3-Stufen-Sauer (Klassiker!)

Diese Führung gilt als die Königsdisziplin, sie erzeugt milde, aromatische und triebstarke Sauerteige. Richtet man die Führung so aus, dass die letzte Stufe zeitlich kurz ausfällt, sinkt die Verarbeitungstoleranz und steigt die Brotqualität.

Kennzahlen:

1. Stufe (Anfrischsauer): 1:2:3 (Starter:Mehl:Wasser),  RZ: 5-8h, TT 25°C-26°C, TA: 200-220,

2. Stufe (Grundsauer): 2:5:3 (Starter:Mehl:Wasser),  RZ: 6-10h, TT 23°C-28°C, TA: 150-165,

3. Stufe (Vollsauer): 2:3:3 (Starter:Mehl:Wasser),  RZ: 3-10h, TT 25°C-32°C, TA:180- 200 Versäuerung: 30-40%

Detmolder 2-Stufen-Sauer

Bewährte Praxis für hochwertige Starterkulturen. Besonderheit: 1. Stufe kann lang gezogen werden. Guter, sicherer Allrounder für die Roggensauerteigbäckerei.

Kennzahlen:

  1. Stufe: 1:12:6 (Starter:Mehl:Wasser), TT: 25°C, RZ: 15-24h, TA ca. 150
  2. Stufe: 1:2:2 (Starter:Mehl:Wasser), TT: 28°C, RZ: 4h, TA ca. 190

Detmolder 1-Stufen-Sauer

Die Führung mit dem höchsten Versäuerungsvermögen und der größten Verarbeitungstoleranz. D.h.: pH und Säuregrad dieser Brote sind am stärksten ausgeprägt. Deshalb eignet sie sich besonders für säuretolerante Mehle/Schrote. In deutschen Bäckereien nur üblich in der Kombination mit Bäckerhefe. Lehrmeinung ist, dass die Triebkraft einstufiger Führungen nicht ausreicht, Brotteigen ein ansprechendes Volumen zu geben. Die Autoren dieses Artikels sind der Meinung, dass die Qualität des Starters ausschlaggebend ist für den Erfolg oder Misserfolg solcher Führungen ohne Bäckerhefe.

Stufe: 1:10:10 (Starter:Mehl:Wasser), TT: 25°C, RZ: 15-24h,  TA ca. 200

Schaum- oder Schlagsauer-Verfahren

Aufwändiges 5-stufiges Verfahren, um den Hefekulturen Sauerstoff zur Verfügung zu stellen. Nur auf diese Weise können sich die Hefen in adäquater Zahl vermehren. Der Punkt, dass zur Hefevermehrung essenziell Sauerstoff notwendig ist, wird häufig vernachlässigt und ist zentraler Bestandteil dieses Verfahrens. Es ist die effektivste Methode, Säurebildung zu unterdrücken- durch Stärkung der Hefen und CO2-Austrieb. Auf diese Weise wird auch die Brotlockerung optimiert. Ob das Verfahren ohne Automatisierung professionell angewendet wird, ist den Autoren nicht bekannt.

Kennzahlen:
1. Stufe: 1:1:2 (Starter:Mehl:Wasser), TT: 23°C, RZ: 3h, TA ca. 300
2. Stufe: 1:1:2 (Starter:Mehl:Wasser), TT: 23°C, RZ: 3h TA ca. 300
3. Stufe: 1:1:2 (Starter:Mehl:Wasser), TT: 23°C, RZ: 3h TA ca. 300
4. Stufe: 1:2:2 (Starter:Mehl:Wasser), TT: 23°C, RZ: 6h TA ca. 265
5. Stufe: 3:1:1 (Starter:Mehl:Wasser), TT: 23°C, RZ: 20 min TA ca. 170

Zusammenfassung

Mit Hilfe der beschriebenen traditionellen Methoden der Sauerteigbereitung sind wir in der Lage, unsere Roggenbrot- Rezepte sehr genau auf unsere Ziele anzupassen. Je nach Automatisierungsgrad der Bäckerei können die diskutierten Techniken mehr oder weniger leicht übernommen werden.

Der Artikel kann als Baukasten oder Erweiterung der eigenen Rezeptentwicklungswelt verstanden werden. 

Dieses Wissen verhilft uns zu Steuerungsmethoden, Werkzeugen der Vorteigbereitung, um hochwertige, handwerkliche Brote zu fertigen und die dahinter liegenden Prozesse zu verstehen. Auf zu viel oder zu wenig Säure reagieren zu können.

Roggenmischbrote auf Basis dieser Techniken haben eine außerhalb Deutschlands nur selten bekannte Qualität- so nuancierte, durch Fermentation entstandene, erdig-aromatische Brote finden zunehmend Eingang in die anspruchsvolle Küche. Von Sterneküchenchefs wird betont, dass solche Brote einen eigenen Gang verdient hätten.

Für Euch als Anregung zum Spielen haben wir folgende Geschichte zusammengetragen:

Litauisches Kochbrot

Rationale: um Standardroggenbrotmehlen die oben diskutierte Geschmacksschwäche auszutreiben, greifen wir tief in die Trickkiste- und bereichern die deutschsprachige Roggenbrotszene mit einer kaum bekannten baltischen Spezialität.

Meine litauischen Nachbarn hatten jedenfalls Tränen des Glücks in den Augen nach einer Kostprobe.

Die in Litauen, Estland, Lettland, Weißrussland und Russland dargebotene Vielfalt verschiedener regionaler Brotspezialitäten war in den Ostdeutschen (DDR) Garnisonsstädten bekannt und wurden hier und dort versucht zu übernehmen. Die Aromen mancher Brote galten als legendär und unerreicht.

Roggentradition wurde großgeschrieben- Herstellung und Eigenschaften der Brote weichen deutlich von den Ideen österreichischer/deutscher Brote ab.
Die Verwendung einer besonderen Vorstufe scheint universell und ist deshalb im Fokus unserer Vorstellung. Bei der Produktion von Roggen- und Roggenmischbrot wird ein sogenannter Kochteig eingesetzt. Dabei wird ein Teil des Roggenmehles unter Rühren mit heißem Wasser gebrüht: ein viskoser Kochteig entsteht.
Dieser gebrühte Teig wird einer Verzuckerung/Vermälzung durch enzymaktives Malzmehl überlassen und später dem fermentierenden Sauerteig zugeführt. Erst nach einer Fermentation des verzuckerten Kochteiges mit dem Sauerteig steht die Vorstufe für den Brotteig zur Verfügung. Manchmal sieht man auch eine getrennte Verarbeitung von Kochteig mit Malzmehl und Sauerteig.

Auch eine weitere Stufe ist anzutreffen: Ergänzend zur Vorstufe aus Sauerteig und Kochteig kann flüssiger Sauerteig zugegeben werden, um die nötige Versäuerung zu erreichen. Die technisch aufwändige Herstellung dieser Vorstufen dient in erster Linie der Verbesserung der Frischhaltung und der Erzielung eines besonders intensiven, malzig-würzigen Brotgeschmacks.
Abhängig von den Ausgangsrohstoffen, den Stehzeiten und den Temperaturverläufen der einzelnen Vorstufen gibt es unterschiedlich starke Abbauvorgänge in den sogenannten Kochteigen. Die Krumenfarbe und Krumenstruktur wird maßgeblich durch die Kochteige beeinflusst. In den Brotteigen werden neben dem versäuerten Kochteig verschiedentlich noch Mengen an Zucker, Zuckersirup, Honig, Fruchtgelee oder Malzextrakt eingesetzt. Die verschiedenen „Zuckerstoffe“ sorgen für den süßlich milden, teilweise fruchtigen Geschmack der Roggen- und Roggenmischbrote und haben einen positiven Einfluss auf die Frischhaltung.

Hier nun die Spielkiste- die Herstellung sogenannter gekochter Brote aus Weißrussland.

Beim Kochteig im All-in-Verfahren werden folgende Zutaten in einem Kessel homogen vermischt: Roggenmehl (etwa Type 1370), Malzmehl, Kartoffelpüreeflocken und heißes Wasser (ca. 80°C). Die Temperatur soll für eine intensive Verzuckerung 6h konstant bei ca.  65°C gehalten werden. In dieser Stufe findet ein enzymatischer Abbau von Stärke zu Dextrinen, Malzzucker und Glucose statt. Das ist -bis auf die Kartoffelflocken- das uns gut bekannte Roggenmalzbrühstück oder auch Aromastück.
Kühlung
Nach der Verzuckerungsstufe wird der Teig auf ca. 30°C abgekühlt. Wichtig: Temperaturausgleich durch Mischen!
 Versäuerung
Der Kochteig wird 1:1 mit Sauerteig TA 220 vermischt und für 3-4 Stunden bei konstant 30°C fermentiert. Er sollte aufgrund höchster Fermentationsraten/Abbaugeschwindigkeiten recht schnell weiter verarbeitet werden, die Verarbeitungstoleranz ist gering.

Teigbereitung

20% versäuerter Kochteig
80 % Roggenmehl
nach Wunsch/ Brotsorte kann zusätzlich Sauerteig verwendet werden
2 % Salz
abhängig von der Brotsorte:
Honig, Zuckersirup, Zucker oder Fruchtgelees eingesetzt
keine weitere Wasserschüttung zum Teig
6 Minuten langsam kneten
Teigruhezeit bis zu 120 Minuten

Es werden gerne große Brote gebacken-eine Besonderheit ist das Backen von Laibbroten auf Ahornblättern. Die Brote mit Kochteig zeichnen sich durch den intensiven Geschmack und die langanhaltende Saftigkeit aus.

Übrigens werden diese Brote deutlich dunkler ausgebacken als in unseren Breiten, einerseits entsprechen die Röstaromen dem Kundenwunsch, andererseits färbt das Brot durch den hohen Zuckergehalt schneller im Ofen.

Am Beispiel meiner Nachbarn erkennen wir, dass Brot in anderen Kulturen hohe Wertschätzung erfährt und mit Emotionen verbunden ist. Für uns besteht der erste Schritt zur Meisterschaft im Erlernen der traditionellen Fertigkeiten.

Universalrezept Kochteig

Empfehlung: 10%  vom Gesamtmehl
Kochteig (TA400) All-in:
100g Roggenmehl (etwa Type 1370),
2g akt. Malz (2%)
40g  Kartoffelflocken (4%)

300g Wasser mit ca. 80°C schütten.

Temperatur soll 6h konstant bei 65°C bleiben

Evtl. ganzer Kümmel (nicht im Pumpernickel!)

Abkühlen auf 28°C

30% Roggensauer herstellen (200g ASG:200g Wasser:200g Roggenmehl, 28°C für 3h)

nach 3h den fertigen Kochteig dazu (Booster!)

nach 2h in den Hauptteig

Nach der Spielerei geht’s ernst weiter- mit dem 

Masterclass-Rezept

Wir wagen den Gang in die schlichte Schönheit- für uns ist es Kunst, ein Rezept so weit zu reduzieren, dass es schlechter werden muss, wenn eine Zutat verändert oder ein Verarbeitungsschritt gestrichen wird. Aber nicht wesentlich besser wird, wenn es einen weiteren Schnörkel erfährt.

Pumpernickel, dieser Ur-Westfale ist ein sparsames Brot aus einer armen Gegend,  das das ganze Korn nutzt und mit den Bestandteilen spielt- es über Stufen der Quellung, mit Hilfe von Keimlingseigenschaften und Fermentation vorbereitet, um in einem ewig langen Backvorgang nochmal durch definierte Besonderheiten ein mildes, unendlich geschmackstiefes Charakterbrot zu formen vermag.

Es ist das Gegenteil eines Discounter-Brotes. Sowohl in der Komplexität der Aromen als auch in der Herstellung. Wir lösen uns insoweit von der Tradition, als dass wir nicht zur Gänze den auskühlenden Ofen nutzen.

Rezept Pumpernickel-Masterpiece/chef-d’œuvre

Gesamtrezeptur

500gWaldstaudenroggen groß
(Mühleneinstellung 15)
50%
500gWaldstaudenroggen fein
(Mühleneinstellung 2)
50%
950gWasser95%
12gSalz1,2%
100ggetrocknete Brotbrösel10%
5gHefe0,5%

Sauerteig

100gWaldstaudenkorn grob vermahlen
100gWasser
20gAnstellgut

Anstellgut im Wasser vollständig auflösen und anschließend mit dem groben Schrot vermischen. Anschließende Reifezeit 12 Stunden bei 25-27°C.

Brühstück

400gWaldstaudenkorn grob vermahlen
400gWasser 100°C
12gSalz

Schrot und Salz in den Kneter einfüllen und anschließend mit dem kochenden Wasser 20 Minuten auf langsamer Stufe mischen. Anschließend Stehzeit 4-5 Stunden.

Brotaroma

100ggetrocknete und fein vermahlene Brotbrösel
200gWasser ca. 30°C

Zusammen vermischen und 4-5 Stunden quellen lassen.

Hauptteig

500gWaldstaudenkorn fein vermahlen
150gWasser 30°C
220greifer Schrotsauerteig
812gBrühstück
300gBrotaroma

Sauerteig, Brühstück, Brotaroma, Wasser und Vollkornmehl zusammen 20 Minuten am langsamen Gang mischen. ACHTUNG: In dieser Mischphase kein Wasser nachschütten! Durch das quetschen der Teigstruktur wird eine starke Bindigkeit erreicht.

Anschließend 30 Minuten quellen lassen.

100gWasser
5gHefe

In der zweiten Mischphase wird nachträglich die in Wasser aufgelöste Hefe beigemengt und weitere 20 Minuten langsam vermischt.
Der Teig könnte wahrscheinlich mehr Wasser vertragen, jedoch ist von einer zu hohen Teigausbeute abzuraten (sogenannte “Speckstreifen” könnten durch die geringe Backtempertur in der Krume entstehen!).

Herstellung

Brotbrüder-Urteil

Zugegeben- für den Schüler ohne Aufsicht ist es immer die größte Herausforderung, den Anweisungen des Meisters Folge zu leisten- und die eigene Kreativität hintanzustellen.

Daraus folgt dann häufig ein Kommentar wie: Ich hab‘ statt Roggenschrot Quinoa genommen und den Sauerteig durch Backpulver ersetzt. Aber geschmeckt hat es allen.

Hier folgt gleich die zweite Herausforderung, die jeden trifft, der mit groben Schroten bäckt:

Die Gewährleistung des Zusammenhalts. Bröckeln die Scheiben auseinander? Sind sie bestreichfähig? Schrot aus der Mühle Müller funktioniert- während das Brot mit Schrot aus der Mühle Meier zerbröselt. Woran liegt’s?

Die Bindigkeit -insbesondere bei Roggenschrotbroten- wird hergestellt durch eine Mischung unterschiedlicher Partikelgrößen- also sollen feinste (Mehl-)Bestandteile, feiner, mittelgrober und grober Schrot in einem gesunden Verhältnis zueinander im Teig stehen. Wenn der Müller die feinen Bestandteile aussiebt- und einen schöner aussehenden, weil homogeneren Schrot teurer verkauft, ist das kontraproduktiv- oder man muss zumindest damit umgehen können.

Die intensive Knetung des sehr festen Teiges hilft. Haltet Schüttwasser zurück. Das ist der magische Satz. Wenn sich Bindung eingestellt hat, kommt quasi tröpfchenweise das Restwasser dazu, damit ein homogener Teig entsteht.

Wir haben die Schrote frisch vermahlen und bevorzugt Urkorn (Champagnerroggen, Waldstaude) verwandt. Das hat einen besonderen Zauber- der entstehende Duft während des Mahlvorgangs wird von den Autoren mit Wollust und Fortpflanzung in Verbindung gebracht- warum auch immer. Das frisch vermahlene Mehl bringt ein ungekanntes Aroma ins Brot- für uns ein neues Universum. Klar muss allerdings gesagt werden, dass die Kombination frischer Vermahlung mit qualitativ hochwertigen Mehlen aus konventioneller Vermahlung die besten -und vor allem zuverlässigsten- Backergebnis

Der Soulfood-Wert von Pumpernickel entspricht ungefähr dem des Sättigungsverhaltens.

Erster Platz!

Klarer Klassensieger im Punktwert aus der Kombination von Geschmackskomplexität, Sättigungslänge, Verträglichkeit.

Kommen wir zu den Einzelwerten:

  • Verwendbarkeit: Sehr gut bestreichbar. Harmonie mit frischer Butter & Marmelade, mit genügend Rückgrat für die Kombination mit reifem Käse, aromatischem Schinken- hier bitte nix billiges! Es würde dem eigenen Charakter schaden. Oder Zwiebel-Matjes-Zusammenspiel für die Fischköppe. Auch Roastbeef-Kombi mit Radieschen- Marinade denkbar-oder einer wahrnehmbaren Wasabi-Schärfe!
  • Duft: zu erkennen sind malzige Waldhonigaromen (abhängig vom Starter, ASG), buttrige Toast-/Röstaromen
  • Mundgefühl: fleischig, saftig, mit spürbarem Biss,
  • Geschmack: trotz geringer Salzmenge harmonisch, durch die lange Backzeit eine leicht malzige- & süßliche Note, Umami-Andeutung,
  • Krumenfarbe: Für Cognac-Trinker: cognacfarben, für Whiskytrinker…eher whiskeyfarben
  • Textur: kompakte, dichte & saftige Krume (ANSCHNITT empfehlenswert erst nach 2 Tagen)

Autoren:

Dietmar Kappl und Manfred Schellin sind international unterwegs, um in Masterclass-Kursen und -Diskussionen Praxis und Theorie der guten Brotbäckerei zusammenzuführen.

Dietmar Kappl ist Backstubenleiter in Linz (reichlbrot.at), Gewinner vieler internationaler Brotwettbewerbe und bloggt unter homebaking.at

Manfred Schellin ist Biochemiker (Universität Bielefeld), Sauerteig- und Mehlkenner. Er betreibt bongu.de