Vorteige
Der Schlüssel zu aromatischen Weizengebäcken
Die Welt des Backens ist reich an Techniken und Traditionen, und eine davon, die sich in den letzten Jahren wieder größerer Beliebtheit erfreut, ist die Arbeit mit Vorteigen. Vorteige, eine Teigführungsmethode, bei der ein Ansatz aus Mehl, Wasser und Hefe vor dem eigentlichen Hauptteig zubereitet wird, spielen eine wesentliche Rolle bei der Herstellung von hochwertigen Broten und Gebäcken. Während in der Vergangenheit die direkte Teigführung oft bevorzugt wurde, hat sich herausgestellt, dass dies nicht immer den besten Geschmack und die längste Frischhaltung garantiert. Deswegen greifen Bäcker heute wieder verstärkt auf Vorteige oder lange Teigführungen zurück – besonders bei Klassikern wie Baguette, Ciabatta oder Weizenbroten.
Was ist ein Vorteig?
Ein Vorteig ist im Grunde eine Vorstufe des Hauptteigs, die aus Mehl, Wasser und Hefe besteht. Diese Mischung wird über einen bestimmten Zeitraum stehengelassen, um die Hefe zu aktivieren und erste Prozesse in Gang zu setzen, die den späteren Teig verbessern. Die Vorteile, die sich daraus ergeben, sind zahlreich:
Vorteile der Vorteige
- Bessere Einlagerung von Wasser: Der Teig kann Wasser besser aufnehmen und vorverquellen, was zu einer angenehmen Teigkonsistenz führt.
- Hefevermehrung: Bei einer achtstündigen Reifezeit kann sich die Hefe um bis zu 30 % vermehren, was für eine stärkere und gleichmäßigere Lockerung des Teigs sorgt.
- Aromabildung: Durch den langen Fermentationsprozess entstehen Aromastoffe, die dem Gebäck einen intensiveren und komplexeren Geschmack verleihen.
- Dehnbarere Teige: Vorteige sorgen für eine bessere Teigstruktur, wodurch der Teig elastischer und leichter zu verarbeiten ist.
- Weichere Krume: Die innere Struktur des Gebäcks wird durch den Vorteig luftiger und zarter.
- Längere Frischhaltung: Produkte, die mit Vorteig hergestellt werden, bleiben länger frisch und trocknen nicht so schnell aus.
- Verbesserter Geschmack: Durch die Fermentation entstehen einzigartige Geschmacksnoten, die in direkter Teigführung oft fehlen.
Arten von Vorteigen
Vorteige können für verschiedene Zwecke eingesetzt werden, je nachdem, welches Ergebnis man erzielen möchte. Hier sind einige der häufigsten Varianten:
- Vorteige zur Quellung von Rohstoffen: Diese helfen, die Mehle und Körner im Teig besser aufquellen zu lassen.
- Vorteige zur Aromaverstärkung von Weizenteigen: Besonders wichtig bei Broten und Gebäcken, bei denen der Geschmack im Vordergrund steht.
- Vorteige zur Säuerung von Weizen- und Roggenteigen: Diese Vorteige verleihen dem Teig eine leichte Säure, die besonders bei Sauerteigbroten erwünscht ist.
Wichtige Faktoren bei der Arbeit mit Vorteigen
1. Reifezeit
Die Lagerung von Vorteigen sollte idealerweise bei Raumtemperatur von einem Tag auf den nächsten erfolgen. Falls längere Stehzeiten erforderlich sind, empfiehlt sich eine Lagerung im Kühlschrank. Zu beachten ist, dass die Hefevorteige nicht länger als 24 Stunden bei Zimmertemperatur reifen sollten, da sonst die Gefahr besteht, dass sich der Weizenkleber zu stark abbaut und unerwünschte Säuerungen eintreten.
2. Teigausbeute (TA)
Die Teigausbeute bezeichnet das Verhältnis von Mehl und Wasser im Teig. Sie variiert je nach Art des Vorteigs:
- Poolish: TA 200 (gleiche Menge Mehl und Wasser)
- Biga: TA 150 (weniger Wasser, festere Konsistenz)
- Sponge: TA 160 (mittlere Konsistenz)
- Pâte fermentée: TA 165 (leicht weicher Teig)
3. Hefeanteil
Der Hefeanteil im Vorteig sollte zwischen 0,3 % und 1 % des Gesamtmehls betragen. Niedrigere Hefeanteile können weniger Aromastoffe produzieren und die Gefahr von Fehlgärungen erhöhen, da die natürlichen Mikroorganismen im Mehl nicht ausreichend unterdrückt werden. Es ist außerdem wichtig, die Hefe im Vorteig nicht bei der Berechnung der Hefemenge im Hauptteig zu berücksichtigen, da sie nach der Fermentation nicht mehr dieselbe Leistung erbringen kann.
4. Mehlanteil
In der Regel wird etwa 30 % des Gesamtmehls als Vorteig verarbeitet. Bei Langzeitführungen können auch 10-15 % ausreichen, wobei Temperatur und Lagerdauer eine Rolle spielen. Höhere Mehlanteile im Vorteig können sich positiv auf die Frischhaltung und das Aroma auswirken.
5. Salzzugabe
In Vorteigen mit einem Hefeanteil von 1 % ist Salz nicht unbedingt notwendig. Wenn jedoch fermentierte Vorteige bis zu 48 Stunden gelagert werden, kann eine Salzmenge von 2 % der Mehlmenge hinzugefügt werden, um das Wachstum von Milchsäurebakterien zu bremsen.
6. Abstehzeit und Temperatur
Die optimale Reifezeit für Weizenvorteige liegt bei mindestens 15 Stunden. Bei kürzeren Zeiten profitiert der Teig nur von der Quellwirkung, ohne dass sich ausreichend Aromastoffe bilden. Für eine schnelle Hefeaktivierung und sichere Aromabildung sollte die Vorteigtemperatur zu Beginn bei etwa 25°C liegen.
Empfehlungen für Vorteigmengen bei unterschiedlichen Broten und Gebäcken:
- Brötchen (direkte Herstellung): 20 bis 30 %
- Brötchen (Langzeitführung): maximal 10 %
- Weizenbrote (frei geschoben): 20-30 %
- Weizenbrote (im Kasten): 30-40 %
- Mischbrote: 20 % des Weizenanteils
- Hefeteige/Croissant: 20-30 %
Besondere Berücksichtigung von Dinkelgebäcken
Auch bei Dinkelgebäcken hat sich der Einsatz von Vorteigen als äußerst vorteilhaft erwiesen. Da Dinkelkleber jedoch empfindlicher ist als Weizenkleber, sollte die Temperatur des Vorteigs bei etwa 6°C (Kühlraumtemperatur) gehalten werden, um einen Abbau des Klebers zu verhindern. Vorteige tragen bei Dinkelbroten auch zu einer besseren Frischhaltung bei, im Gegensatz zur Verwendung von Dinkelsauerteig. Dies lässt sich besonders gut beobachten, wenn man die Brote zwei Tage nach dem Backen miteinander vergleicht.
Fazit
Vorteige sind ein bewährtes Mittel, um Geschmack, Struktur und Haltbarkeit von Weizenbroten und -gebäcken signifikant zu verbessern. Die gezielte Hefevermehrung und die längere Reifezeit schaffen Aromen, die bei der direkten Teigführung nur schwer zu erreichen sind. Besonders bei Backwaren wie Baguette, Ciabatta oder Gebäck zeigen sich die positiven Effekte von Vorteigen in vollem Umfang.
Der wesentliche Vorteil von Vorteigen liegt im verbesserten Aroma und längeren Frischhaltung. Während bei langen, kühlen Garezeiten der gesamte Teig reift und das Aroma sich dadurch entwickelt, ist der Einsatz von Vorteigen besonders bei kurzen Teigführungen von 2 bis 7 Stunden empfehlenswert. Hier sollte die Vorteigmenge maximal ausgenutzt werden, um die bestmögliche Aromabildung zu erreichen. Zusammenfassend lässt sich sagen: Vorteige lohnen sich dann am meisten, wenn eine kurze Teigführung den Fokus auf ein intensives Geschmackserlebnis legt.
71 Kommentare
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Dieter Jacobs
Hallo Dietmar,
Gratulation zu diesem neuen sehr gut gemachten Blog. Man merkt, dass dies von einem Fachmann gemacht wird und nicht nur Dinge kopiert und übernommen werden.
Ich habe früher eine Zeitlang versucht für meine Familie Brot und Brötchen zu backen, aber, wie üblich, mit viel Hefe und kurzer Gare. Da dies geschmacklich nichts besonderes ergeben hat, habe ich dies wieder aufgehört.
Aufgrund eines speziellen Wunsches meiner Ehefrau habe ich nun vor wenigen Monaten im Internet nach einem bestimmten Rezept gesucht und bin durch Zufall auf Rezepte mit wenig Hefe und langer Gare aufmerksam geworden und backe seitdem zur Zufriedenheit der Familie jedes Wochenende Brötchen.
Soweit der Vorrede. Worum geht es mir? Man hat oder findet verschiedene Rezepte, und möchte diese gerne in das Konzept “wenig Hefe/lange Gare” umarbeiten. Hier kommen mir folgende Fragen:
– die verschiedenen Vorteige etc. sind gut beschrieben, aber in welchen Fällen sollte man bevorzugt welche Art von Vorteig ( Biga, Poolish, Pâte fermentée, Sponge ) benutzen und in welchen konkreten Fällen ist die zusätzliche Verwendung eines Kochstücks/water-roux zu empfehlen?
– wie viel Roggenmehl kann man, unter Verwendung eines der obigen Vorteige, verwenden ohne einen Sauerteig verwenden zu müssen? 15-20%? Welcher Vorteig/Gare ist hierfür am besten geeignet?
– in welchen Fällen führt man die Gare besser bei 22-24°C und wann besser bei 4-6°C durch?
– wann ist eine lange Stückgare über Nacht bei 4-6°C anstelle einer kurzen Stückgare bei Raumtemperatur sinnvoll, bzw. möglich?
– wenn man statt nur Wasser, z.T. oder ganz auf Buttermilch, Milch, Joghurt oder Topfen übergeht, um wie viel muss man die Menge im Bezug auf nur Wasser verändern?
– wie ändert sich der TA-Wert, Vorteig, bzw. Gare, wenn man statt Weizenmehl 700 z.B. 15% Weizenvollkorn, oder Dinkelmehle oder Roggenmehle verwenden möchte?
Viele Fragen, die sich aber wahrscheinlich auch viele andere stellen.
Ich würde mich freuen den einen oder anderen Hinweis hierzu zu erhalten.
Danke im Voraus.
Herzliche Grüsse aus Bayern.
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Dietmar Kappl
Hallo Dieter,
zum ersten möchte ich mich einmal für dein Lob bedanken.
Ich versuche in meinem Blog keine anderen zu imitieren oder nachzumachen.
Ich möchte einfach nur das Backen aus meiner Sicht den Leute zeigen und erklären (sofern ich es kann).
Da ich nun schon seit 24 Jahren jeden Tag backe, bin ICH zum Entschluss gekommen, das nicht immer alles stimmt, was in Fachbüchern gelehrt wird!
(die meisten predigen Wasser und trinken Wein!)
Wenn ich im Blog Fragen beantworte, so kann ich nur von Erfahrungswerten aus der Praxis schreiben!
„Biga, Sponge und Pate Fêrmentêe“ sind für mich ein und das selbe – nur kleine Abweichungen!
Pate Fêrmentêe hat sich für mich zum Liebkind entwickelt! Farbe, Bräunung, Krume und Geschmack sind genau mein Ding!
Dieser Vorteig eignet sich für Kleingebäck hervorragend, und auch für die kalte Gare (+6°C) – 25-30% der gesamten Mehlmenge.
„Poolish“ verwende ich nur für Baguette, Ciabatta… (weiche Teig), oder für Kleingebäck mit kurzer Gare (hier immer 50% der Schüttflüssigkeit verwenden)
„Water roux“ bringt geschmacklich überhaupt nichts, jedoch bei trockenen Teigen (Dinkel) bringt man mehr Wasser in die Krume, das wiederum von Vorteil ist.
„Aromastück“ ist Genial! Mein Tipp: Mische das Aromastück zusätzlich unter der Vorteig. Diese Vorteigart habe ich zwar noch nie wo gelesen, praktiziere es aber selber seit 3 Monaten in unserer Bäckerei! Die Qualität ist Einzigartig!!!
Roggenmehl kann auch schon im Vorteig zugesetzt werden! Im gesamten würde ich nie mehr als 10-15% verwenden, warum auch! Der Teig neigt früher zum überkneten und zum nachlassen beim Aufarbeiten.
Mein Vorschlag: 5-10% Roggen und diese einmal dem Vorteig im ganzen beimengen (Pate Fêrmentêe)
Die Gare würde ich nach der Vorteigmenge ausrichten!
– kalte Gare / 10-20 %Vorteig
– warme Gare / 30-35% Vorteig
Wenn du bei der kalten Gare zu viel Vorteig verwendest, verlierst du stark am Volumen (Ausbund). Durch den Vorteig wurde der Weizenkleber stark geschwächt! Darum immer auf Mischzeit achten, und Vorteige nur kurz mischen!!!
Milch und Buttermilch kannst du statt Wasser austauschen, aber die Krume wird mürbe und die Kruste färbt stärker als sonst .
Topfen und Joghurt nur 10-20 % der Mehlmenge beimengen, denn nur so bekommst du eine schöne wattige, saftige Krume.
Wassermenge reduzieren: 1,5kg Topfen und Joghurt = 1.0kgWasser
(Es ist immer besser, man schüttet etwas Wasser bei Mischen nach)
Bei Weizenvollkornmehl geht die TA nach oben, Gare und Vorteig bleiben unverändert
Bei Roggenmehl geht die TA nur minimal nach oben, Vorteig bleibt unverändert und die Gare etwas kürzer treten
Bei Dinkelmehl nur mit „Vorteig“, Knetzeit verkürzen und Gare ist gleich wie bei Weizenmehl
Schöne Grüße aus Linz, Dietmar
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3Pix
Hallo Dietmar!
Toller, sehr informativer Blog vom Fachmann!
Du schreibst, dass Du ein Aromastück unter den Vorteig mischst, was eine gute Qualität bewirkt. Bei Broten aus Russland und dem Baltikum scheint es eine ähnliche Methode zu geben – schau mal z.B. auf http://rusbrot.blogspot.de/ . Ich fand diese Idee gleich faszinierend, hab es zwei Mal ausprobiert und das zweite Brot war wirklich das beste, was ich je gebacken habe.
Viele Grüße und weiter so!
3Pix
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Dietmar Kappl
Danke für den Blog-Tipp 😉
Besonders das Aromastück lässt sich immer mit diversen Vorteig kombinieren!
Lg. Dietmar
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evelyn lopez
I just discovered your website thru your entry in yeast spotting. I am overwhelmed
with your breads will try your recipes and follow your posts. very interesting,
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Dietmar Kappl
Thanks for the compliment,
and I hope the recipes are well translated into English.
Greetings from Austria
Dietmar
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Julia
Danke für die Zusammenstellung und Erklärung der verschiedenen Vorteige; die Begriffe geistern zwar durch diverse Blogs, aber was sie voneinander unterscheidet, habe ich bisher nicht so prägnant dargestellt gefunden. Und danke auch für die erläuternden Tipps bzgl. unterschiedlicher Wirkung dieser Vorteige. Ich backe zwar schon lange, aber was Mengenverhältnisse betrifft eher “rustikal”/nach Teiggefühl (wobei in der Regel mit gutem Ergebnis). Das gewöhne ich mir jetzt mal ab 😉
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Maria
Hallo Dietmar,
bin ja mal ganz neugierig, auf die Verarbeitung der Pate fermentee. Ich hab mal im Elsass bei einer B+B Unterkunft morgens ein unglaublich leckeres Hefebrot (süßlich) essen können, mit einer tollen knusprigen Kruste, einer lockeren Krume und einem unglaublichen Aroma, konnte gar nicht genug davon bekommen. Wahrscheinlich war dass dann mit einer Pate fermentee verarbeitet. Seit dem träume ich ja von diesem Hefebrot! Vielleicht gelingt es mir ja jetzt, es selbst zu machen. *freu* Der Teig bleibt also noch bis morgenfrüh im Kühlschrank! Yummie. Übrigens bin ich wirklich froh, auch endlich mal die Hintergründe für die Zutaten und Teigführungen auf deiner Seite nachlesen zu können (z. B. warum das Salz in den Vorteig kommt, was der Zweck eines Vorteiges ist usw). Ach ja, und sehr schöne ansprechende Fotos. Danke, Maria
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Maria
Danke für diesen Blog. Schön übersichtlich und ebenso schön er- bzw. aufklärend. Gefällt mir sehr gut. Auch die kleinen schnellen Rezepteingaben. Habe mir gerade nach deinem Rezept eine pate fermentee angesetzt und werde dann mal morgen anfangen den Teig zu verarbeiten. Worin ist eigentlich der (geschmackliche) Unterschied zwischen einer pate fermentee und einer Biga zu sehen (sorry, bin ein blutiger Anfänger, was Brotbacken bzw. Brotgebäck angeht). Freue mich jedenfalls auf viele kommende inspirierende Rezepte! Danke für deine Arbeit. 🙂
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Dietmar Kappl
Hallo Maria,
geschmacklich ist der Pâte fermentèe etwas milder zum Biga. Das Salz, die höhere Wasserzugabe (TA) und die kühlere Führung (4°C) sind der Grund dafür. Der Biga ist etwas säuerlicher – dieser reift aber auch bei Raumtemperatur (ca. 20°C).
Lass den Pâte fermentèe 48 Stunden reifen, dadurch bekommst du eine wunderschöne Krustenfärbung und ein weit besseres Aroma als einer der nur 20 Stunden geführt wird! Ich selber bevorzuge lieber Pâte fermentèe.
Lg. Dietmar
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