Dorfkruste (von Hand geknetet)

Wer regelmäßig mit Sauerteig bäckt, weiß, wie wichtig die Einhaltung der Reifezeiten ist. Besonders bei einstufigen Sauerteigen, die oft eine festgelegte Zeitspanne und Temperatur erfordern, gibt es kaum Spielraum: Schon geringfügige Abweichungen können den Säuregrad, die Triebkraft und letztlich das Endergebnis beeinflussen. Doch wie sieht es bei der zweistufigen Führung aus? Kann man hier flexibler sein, oder bringt ein Überschreiten der üblichen Reifezeiten zwangsläufig Probleme mit sich?

Diese Frage hat mich zu einem Experiment inspiriert. Mein Ziel war es, die Grenzen der Grundsauerstufe zu testen und herauszufinden, ob und wie sich eine deutliche Verlängerung der Reifezeit auf den Sauerteig und das fertige Brot auswirkt.

Die Grundlagen: Was bedeutet zweistufige Sauerteigführung?

Die zweistufige Sauerteigführung ist eine verbreitete Methode, um einen Sauerteig mit stabiler Triebkraft und ausgewogener Säure zu entwickeln. Sie besteht aus:

  1. Der Grundsauerstufe:
    Diese erste Stufe wird in der Regel bei einer Temperatur von 22-24°C über 12 bis 18 Stunden geführt. Ziel ist es, eine milde Säure aufzubauen und die Hefen sowie die Milchsäurebakterien optimal zu aktivieren.
  2. Der Vollsauerstufe:
    In der zweiten Stufe reift der Sauerteig bei höheren Temperaturen (meist um 30-32°C) für 2-4 Stunden. Hier wird die Triebkraft maximiert, und die Mikroorganismen arbeiten besonders intensiv.


Der Versuch: Verlängerte Reifezeit in der Grundsauerstufe

Für meinen Test habe ich die Reifezeit der Grundsauerstufe bewusst deutlich verlängert – von den üblichen 12-18 Stunden auf ganze 36 Stunden. Die Temperatur von 15-18°C blieb dabei konstant. Anschließend wurde die Vollsauerstufe wie gewohnt mit einer Temperatur von 32°C und einer Reifezeit von 3 Stunden geführt.

Das Ergebnis war erstaunlich:

  • Enorme Triebkraft in der zweiten Stufe: Trotz der verlängerten Reifezeit in der Grundsauer-Stufe zeigte der Sauerteig in der zweiten Stufe keinerlei Schwächen. Im Gegenteil – die Triebkraft war beeindruckend.
  • Keine negativen Auswirkungen auf den Brotteig: Auch der anschließende Teig profitierte von der stabilen Triebkraft. Die Gärstabilität, der Ofentrieb und die gesamte Teigentwicklung waren optimal.
  • Perfekte Balance im Geschmack: Weder Säurespitzen noch ein unangenehmer Geschmack traten auf. Das Brot überzeugte mit einem ausgewogenen Aroma und einer hervorragenden Krume.

Das Ergebnis: Sauerteig mit erstaunlicher Stabilität

Ich war überrascht, wie stabil und flexibel der Sauerteig auf diese verlängerte Reifezeit reagierte. Hier die wichtigsten Beobachtungen:

  1. Triebkraft in der zweiten Stufe:
    Trotz der deutlich verlängerten Reifezeit in der Grundsauerstufe zeigte der Sauerteig in der Vollsauerstufe eine beeindruckende Triebkraft. Es gab keine Anzeichen von Ermüdung oder Überreife, was darauf hinweist, dass die Hefen und Bakterien in der Grundsauerstufe unter den milden Bedingungen kaum beeinträchtigt wurden.
  2. Perfekte Gärstabilität im Brotteig:
    Auch der anschließende Hauptteig zeigte sich von seiner besten Seite. Die Triebstärke war ausgezeichnet, die Gärstabilität optimal, und der Teig ließ sich problemlos verarbeiten.
  3. Keine Säurespitzen im Brot:
    Das fertige Brot wies eine ausgewogene Säure auf, ohne unangenehme Spitzen. Die verlängerte Reifezeit der Grundsauerstufe hatte keine negativen Auswirkungen auf das Aroma – im Gegenteil, das Brot überzeugte mit einer angenehm milden, leicht komplexen Säurenote.
  4. Ofentrieb und Krume:
    Der Ofentrieb war hervorragend, und die Krume zeigte eine gleichmäßige Porung mit elastischer Struktur – ein klares Zeichen dafür, dass die Hefen auch nach 36 Stunden noch aktiv waren.

Warum funktioniert das?

Die Temperatur von 15-18°C in der Grundsauerstufe ist entscheidend. Sie ermöglicht den Mikroorganismen, langsam und stabil zu arbeiten. In diesem moderaten Temperaturbereich bleiben die Hefen und Milchsäurebakterien aktiv, entwickeln jedoch keine übermäßige Säure. Das Ergebnis ist ein Sauerteig mit großer Stabilität, der auch nach längerer Reifezeit noch ausreichende Triebkraft für die Vollsauerstufe besitzt.

Zudem spielt die Zusammensetzung des Sauerteigs eine Rolle. Bei einer zweistufigen Führung kann die zweite Stufe gezielt genutzt werden, um etwaige Schwächen der ersten Stufe auszugleichen. Die höhere Temperatur in der Vollsauerstufe fördert die Aktivität der Hefen und Bakterien und sorgt so für optimale Triebkraft.


Mehr Flexibilität für Hobbybäcker und Profis

Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass die Grundsauerstufe in der zweistufigen Sauerteigführung erstaunlich flexibel ist. Besonders für das Backen ohne zusätzliche Hefe bietet dies einen großen Vorteil: Auch bei verlängerten Reifezeiten bleibt die Qualität des Sauerteigs erhalten, und das Backergebnis überzeugt. Wer also etwas mehr Zeit benötigt – sei es wegen unerwarteter Unterbrechungen oder einem vollen Tagesablauf – kann die Grundsauerstufe ruhigen Gewissens länger reifen lassen.

Das macht das Backen alltagstauglicher und zeigt gleichzeitig, wie anpassungsfähig Sauerteige wirklich sind. Mit den richtigen Rahmenbedingungen aus Temperatur und Zeit erweisen sie sich als äußerst zuverlässige Begleiter in der Backstube.

Vielleicht ist es an der Zeit, die strikten Reifezeit-Vorgaben ein wenig lockerer zu sehen. Sauerteige sind lebendig und flexibel – wer ihnen ein bisschen mehr Freiheit zugesteht, wird mit großartigen Ergebnissen belohnt.

Rezept

1. Grundsauerstufe

120gRoggenmehl Type 960/1150
84gWasser 25°C
6gAnstellgut

  • Anstellgut im Wasser auflösen und mit Roggenmehl klumpenfrei verrühren.
  • Anschließend 36-48 Stunden bei 15-18°C reifen lassen.

2. Vollsauerstufe

210greifer Grundsauer
336gWasser 45-50°C
230gRoggenmehl Type 960/1150

  • Grundsauer im Wasser vollständig auflösen und mit Roggenmehl vermischen.
  • Anschließend 3-3,5 Stunden bei 30-32°C reifen lassen (gewünschte Sauerteigtemperatur 32°C).

3. Hauptteig

776greifer Sauerteig
350gRoggenmehl Type 960/1150
100gRoggenmehl Type 2500 oder Vollkornmehl fein vermahlen
200gWeizenmehl Type 700/550
350-390gWasser 45°C
24gSalz
20gSchweineschmalz
10gBrotgewürz fein vermahlen

4. Herstellung (Anleitung von Hand mischen)

Sauerteig-Mischung vorbereiten:
Sauerteig, Salz und Gewürze in einer Schüssel mit dem Wasser vollständig aufschlämmen. Verwenden Sie hierfür einen Schneebesen, um eine homogene Flüssigkeit herzustellen.

Hauptteig ansetzen:
Mehl und flüssiges Schweineschmalz zur Sauerteig-Mischung hinzufügen. Die Zutaten mit der Hand etwa 4-5 Minuten mischen, bis eine gleichmäßige Teigstruktur entsteht.

Teigruhe:
Den Teig zugedeckt für 30 Minuten reifen lassen.

Formen der Teiglinge:
Den Teig nach der Reifezeit in zwei gleich große Stücke teilen und diese zu runden Laiben formen.

Stückgare:
Die geformten Teiglinge mit dem Teigschluss nach unten in bemehlte Gärkörbchen legen. Zugedeckt bei Raumtemperatur gehen lassen, bis sie gut aufgegangen sind (ca. 50-60 Minuten).

Vorbereitung:
Den Ofen rechtzeitig auf 245°C vorheizen.

Anbacken:
Die Laibe auf den Backstein setzen und bei 245°C mit leichtem Schwaden anbacken.

Backtemperatur reduzieren:
Nach 5 Minuten die Temperatur auf 205°C senken.

Backzeit:
Die Brote insgesamt 50-60 Minuten backen.