Baguette Weizensauer vs. Poolish

Masterclass Baguette 

Vergleich zweier klassischer Baguetterezepte 

Die Gräben der Trennung sind tief – die Erkenntnis, was bestes, traditionell französisches Baguette sein kann und was als Baguette in Österreich/Deutschland verkauft – oder was von Backenden (Profis & Hobbybäckern) dafür gehalten wird, geht so weit auseinander, dass eine Einigung fasst nicht möglich ist.

In Frankreich wird das gute Baguette gefeiert – wie bei uns vielleicht das deutscheste Auto. Es ist eindeutig Kulturgut – regelmäßig, ständig finden Wettbewerbe statt, prämierte Bäcker dürfen (ein Jahr lang) den Präsidentenpalast beliefern und haben zumindest ruhmestechnisch ausgesorgt.

Hier kostet es den Bundespräsidenten ein müdes, diplomatisches Lächeln, wenn die erste Ausbildungsstätte für das deutsche Bäckerhandwerk eine Ladung Stollen ins Schloss Bellevue schickt. Das liegt nicht nur am Bundespräsidenten. Denn das extra dafür entwickelte Rezept ist zwar nicht ganz schlecht – aber es ist in erster Linie praxistauglich, nicht geschmacksoptimiert. Also für die typische deutsche Durchschnittsbackstube gemacht. Mit Zutaten, die über den größten Einkaufsring bestellbar sind.
Ein deutscher Koch von Rang würde ALLES geben, beste, teuerste Ingredienzen besorgen, nächtelang am Rezept herumschrauben …. verbessern, trainieren, verbessern – als wäre der Bundespräsident die Traumbraut, die es zu erobern gilt. Und es tatsächlich sein könnte.

Bei uns gilt schon als König, wer ein deutsches 550er Weizenmehl – am besten für unter 25ct/kg – gefunden hat, das eine 48h lange Gärverzögerung zu überstehen imstande ist. Und damit dann stolz ein Stangenweißbrot mit Fermentationsaromen aus dem Ofen zieht.

Wie verkehrt die Welt sich hier dreht, merkt man spätestens, wenn ein deutsches „Brotsommelier-Paar“ vor laufender Kamera – vermeintlich fachkundig, für jeden Franzosen jedoch erschütternd überheblich – über das Baguette eines prämierten frz. Bäckers urteilt, dass Fremdschämen eine neue Dimension bekommt.

Zeit also, die Erfahrungen der Brotbrüder aus den vielen gemeinsamen Exkursionen tief in die französische, Pariser Bäckerwelt aufzuarbeiten, zu konzentrieren und zu Papier zu bringen. Dass wir dabei mit den Besten der Zunft im Austausch stehen, sollte zumindest erwähnt werden.

Die französische Philosophie – ein besseres Ganzes aus den Stärken unterschiedlicher Komponenten zusammenzubauen – ist uns besonders bekannt durch die französischen Wein-Cuvees. Auch der Müller versteht dieses Spiel: Das Mehl wird sehr bedacht zusammengemahlen, gemischt aus unterschiedlichen Weizensorten – und sogar Standorten, um das beste Produkt daraus backen zu können – ob es nun ein Croissant, ein Baguette oder ein französisches Landbrot ist.
Hier passt der Holzhammer: das deutsche „backstarke 550er“ oder österreichische „W700“ soll günstig sein und für alle Belange gut. Das ist, als müsste sich ein VW Kombi mal mit einem AMG-Mercedes und mal mit einem Bentley messen. Jedoch beharren die VW-Kombi-Fahrer darauf, das beste Fahrzeug überhaupt fahren zu dürfen – schließlich hat es mehr Laderaum als der Bentley und ist auf der Autobahn nicht so nervös wie der AMG. Außerdem sparsam wie ein Schwabe.

Kommen wir zu den typischen Eigenschaften eines französischen Baguettemehls:

  • Es hat meist einen höheren Carotinoid-Gehalt, ist von gelblicher Farbe
  • Sein Ausmahlgrad, der Mineralstoffanteil entspricht ungefähr einer Mischung aus deutschem 550er und 812er oder dem österreichischen W700
  • Die Wasserbindung liegt leicht über dem durchschnittlichen deutschen 550er Mehl, eher beim österreichischen W700.
  • Der Kleber ist recht dehnbar, er verhält sich, als wäre dem Weizen etwas Dinkel zugemischt
  • Der Geschmack, Duft eines guten, prämierten T65- Mehls ist blumig, fruchtig – diese Aromen finden sich in der ausgebackenen Krume wieder.
  • Das Mehl hat eine leichte Süße, durch den höheren Zuckergehalt karamellisiert die Kruste eher, das Gebäck bräunt schneller, die Kruste entwickelt sich dadurch feinsplittrig

Aufarbeitung:

Die wahrscheinlich größte handwerkliche Herausforderung für einen deutschen Bäcker zur Herstellung eines Baguettes ist die ungewohnte Aufarbeitung: die Teige sind recht weich und wollen für die grobe, unregelmäßige Porung schonend aufgemacht werden – erwarten allerdings eine straffe Oberfläche, damit ein schöner Ausbund das Brot ziert.

Die Aufarbeitung erfolgt in 2 Schritten: Nach der letzten Reife wird der Teig schonend und gleichförmig auf den Arbeitstisch gekippt, die Teiglinge gleichmäßig abgestochen und unter leichter Vorspannung zu Zylindern aufgerollt. Ruhezeit im Couche (Bäckerleinen) ca. 20min. Aufarbeitung zu Baguettes: Spannung geben und lang ausrollen. Nochmal ca. 30-45min Stückgare.

Backen:

Das typisch französische Baguette lebt rein äusserlich vom Farbenspiel – es darf durchaus schwarze Spitzen haben, auf der anderen Seite finden wir tief im Ausbund leuchtend gelb-orange Krumenfarbe. Der Ofen hilft, das konturenreiche Aussehen umzusetzen. Der Duft eines frischen Baguettes ist betörend, die dünne Kruste knusprig – eine Boulangerie zieht alle 2h frische Baguettes aus dem Ofen. Die Krume ist saftig, duftig, leicht chewy – das Innenleben unregelmäßig grob geport, wobei die Franzosen in diesem Punkt deutlich toleranter sind als jeder deutsche Hobbybäcker. Die Backzeit sollte bei einer typischen Teigeinwaage von 350g bei 50cm Länge 21min betragen. Richtwert sind 250°C. Beschwadung ist wichtig. Für den Knusper im letzten Backdrittel ablassen.

Genuss:

Vielleicht hilft es, deutsche Mentalitätsbarrieren abzubauen, wenn man mit diesem Essen zu spielen beginnt: ein Baguette mit den Händen zu brechen, aufzureißen, eine Nase voll vom Krumenduft zu genießen… und das Stückchen Brot als Genusshilfe zu begreifen. Saucen, Pasten zu dippen, die gute Butter etwas verschwenderischer zu nutzen, ein paar Krümel Salz zu streuen, selbst wenn die Hälfte danebengeht. Baguettegenuss ist Anarchie!

Brotbrüder-Urteil:

Wir haben zwei klassische Rezepte entwickelt, mit denen wir in Frankreich wettbewerbsfähiges traditionelles französisches Baguette verkaufen könnten. Bei beiden Varianten stimmen äußere und innere Qualitäten, trotzdem sind es geschmacklich völlig unterschiedliche Charaktere, wenn man genau hinschaut, erkennt man sogar in der Krume jeweils typische Eigenschaften. Die Kruste ist in beiden Fällen dünn, knusprig.
Das Sauerteigbaguette verfügt über eine deutlich bessere Frischhaltung, hier herrscht Übereinstimmung mit der Lehrmeinung. Knusper bleibt länger erhalten. Die Krume ist von etwas längerer Faser, eher „chewy“. Leichte, buttrige Milchsäurenoten animieren zum Griff nach etwas kräftigeren Kombinationen: die Terrine, Leberwurst oder der aromatische Käse kommen bei diesem „stärkeren“ Partner zur Geltung, diese Komposition überhöht das Ergebnis zu einem gemeinsamen Besseren. Das heißt nicht, dass das Poolishbaguette auch nur graduell schlechter wäre: die 50% Vorteiganteil sind eine Hausnummer, die sowohl Krumenqualität als auch Geschmack beeinflussen. Man beginnt diese Art der Bäckerei mit sicheren Rezepten, zunächst wird einfach nur die Gare verlängert, irgendwann probiert man aus, was möglich ist, wird zum Grenzgänger: Scheitern erlaubt. Dies ist so ein – gelungener – Versuch. Selbstverständlich werden mit dem Poolish nicht nur Fermentationsaromen eingetragen – auch das französische Mehl schiebt während der Reifezeit das Geschmacksspektrum in die gewünschte Richtung. Das Ergebnis ist milder, dennoch komplex, duftig, blumig! Leicht süßlich, rösch wäre beim Frühstück der erste Griff Richtung Marmelade/Honig. Beide Varianten jedoch passen sensationell – einfach – mit bretonischer Salzbutter zu jeder Tageszeit.

Rezept für Weizensauerbaguette

Weizensauerteig

90gWeizenmehl T65100%
90gWasser 40°C100%
20gAnstellgut22%

Anstellgut im warmen Wasser auflösen und anschließend mit dem Weizenmehl T65 klumpenfrei vermischen. Anschließende Reifezeit ca. 8-12 Stunden. Ist eine verlängerte Reifezeit des Sauerteiges erwünscht, muss die Anstellgutmenge reduziert werden.

Hauptteig

1000gWeizenmehl T65100%
600gWasser ca. 10°C60%
200greifer Weizensauerteig100%
22gSalz2%
0,5gHefe0,05%
  • Wasser und Weizenmehl T65 klumpenfrei verrühren (2 Minuten am langsamen Gang)
  • Anschließend abgedeckt 60-90 Minuten zur Autolyse stehen lassen.
  • Nach der Autolyse den Weizensauer, Salz und Hefe beimengen und 8 Minuten am langsamen Gang mischen.
  • Danach den Teig noch 45-60 Sekunden schnell kneten.

Rezept für Poolishbaguette

Poolish

300gWeizenmehl T6586%
50gRoggenmehl14%
350gWasser 20°C100%
0,1gHefe0,03%

Die Hefe im Wasser auflösen, 10 Minuten stehen lassen und anschließend mit Weizen- und Roggenmehl vermischen. Anschließend das Poolish abdecken und bei Raumtemperatur reifen lassen. Sobald eine Volumenszunahme von 40% erreicht ist, sollte das Poolish bis zur Weiterverarbeitung bei 4°C im Kühlschrank gelagert werden. Dort erreicht das Poolish seine volle Reife und kann bis zu 36 Stunden aufbewahrt werden.

Hauptteig

650gWeizenmehl T65100%
350gWasser 10°C54%
700greifes Poolish100%
20gSalz2%
0,2gHefe0,02%
  • Poolish, Wasser und Weizenmehl T65 klumpenfrei vermischen und 30 Minuten zur Autolyse stehen lassen.
  • Nach der Autolyse Salz und Hefe beimengen und 8-10 Minuten langsam mischen. Sobald sich der Teig vollständig von der Kesselwand löst, wird dieser weitere 1-2 Minuten am schnellen Gang geknetet.

Herstellung von Baguette

  • Nach der Teigherstellung den Teig in eine leicht geölte Wanne geben und nach 30 & 60 Minuten falten.
  • Anschließend den Teig weitere 120 Minuten bei Raumtemperatur reifen lassen.
  • Nach der eingehaltenen Teigreife den Teig auf eine bemehlte Arbeitstafel kippen, und zu 200-250g schweren Teigstücken abwiegen. Siehe Video hier
  • Anschließend 30 Minuten entspannen lassen.
  • Nach einer kurzen Teigentspannung die vorgeformten Teiglinge zu Baguette formen – siehe Video hier
  • Die geformten Teiglinge ca. 30 Minuten auf die Endgare stellen.
  • Baguette auf Abzieher absetzten und nach Wunsch schneiden.
  • Im vorgeheizten Backrohr bei 250°C mit kräftigen Schwaden schieben.
  • Je nach Teigeinlage beträgt die Backzeit 18-23 Minuten.